Wieviel Abenteuer braucht das Leben?

Es muss weder die Weltreise noch das einfache Leben im Entwicklungsland sein, um die Sehnsucht nach Abenteuer zu stillen. Unsere Kolumnistin Hadassa Haack sucht diese Woche das Besondere in den kleinen Dingen.


“Abenteuer ist nicht nur das Überqueren von Wüsten und das Erklimmen von Bergen; Abenteuer lassen sich überall und täglich finden, und es liegt an uns, nach ihnen zu suchen.” – Alastair Humphreys

Wenn es Zeitmaschinen wirklich gäbe, wohin würden Sie reisen? Ich würde das späte 19. und das frühe 20. Jahrhundert erkunden wollen. Es war die Geburtsstunde faszinierender Abenteurerinnen, Forscherinnen und Pilotinnen, die selbstbestimmt und mutig ihr Leben selbst gestaltet haben. Die Biografien von Frauen wie Gertrude BellFreya Stark, Amelia Earhart, Beryl Markham und Elly Beinhorn sind praktisch eine Pflichtlektüre. Mich macht es traurig, dass diese Ära vorbei ist und es im klassischen Sinne nicht mehr viel zu erforschen und zu entdecken gibt. Trotzdem ist das noch längst nicht das Ende aller Abenteuer.

All diese Lebensberichte haben mich selbst zu Abenteuern inspiriert. Sie haben mir aber auch gezeigt, dass man bereit sein muss, Opfer zu bringen, und dass nicht jeder dazu in der Lage ist. Das ist auch gar nicht nötig. Man muss nicht all seine Besitztümer verkaufen und mit dem Rucksack um die Welt ziehen – die Sehnsucht nach Abenteuer kann auch anders gestillt werden. Was also macht ein Abenteuer aus?

Die Essenz eines Abenteuers

Manche haben echten Abenteuergeist, verlassen aber nie ihre Heimat. Es ist eine Frage der Einstellung, die sich in Eigenschaften wie Neugierde, Sinn für Humor und der Bereitschaft, sich selbst herauszufordern, widerspiegelt. Sich des eigenen Bedürfnisses nach der Nähe zur Natur bewusst zu werden, der Wunsch, sich frei zu fühlen und sich als Mensch weiterzuentwickeln – all das spielt eine Rolle.

Was also können wir tun, um unsere Sehnsucht nach Abenteuer zu stillen, wenn wir zugleich Verpflichtungen haben und nicht einfach für längere Zeit verschwinden können?

Der Engländer Alastair Humphreys hat den Begriff “Mikroabenteuer” (microadventures) geprägt, nachdem ihm klar wurde, dass nicht jeder die Mittel oder Möglichkeiten hat, auf große Abenteuerreise zu gehen wie er.

Humphreys ist berühmt für seine Expeditionen. Er radelte zum Beispiel mit dem Fahrrad um die Welt, ruderte über den Atlantik und lief quer durch Indien. Für seine Pionierarbeit im Bereich Mikroabenteuer und die Bemühungen, Leute dazu zu motivieren, sich mehr draußen zu bewegen, sich aus der eigenen Komfortzone herauszuwagen und neue Orte zu entdecken, wurde er von National Geographic 2012 zum Abenteurer des Jahres gekürt.

“Ein Mikroabenteuer ist ein Abenteuer, das in der Nähe ist, günstig, kurz und trotzdem sehr effektiv”, erklärt Humphreys. Es ist ein Irrtum, dass man das normale Leben hinter sich lassen und in fremde Länder oder über die Weltmeere ziehen muss, am besten mit speziellen Fähigkeiten und passender Ausrüstung, um Abenteuer zu erleben. Es stimmt auch nicht, dass man, um ein echter Abenteurer zu sein, ein weißer Mittelstandsmann sein muss, der entweder stark und athletisch oder – noch wichtiger – reich und gut vernetzt ist. Ich glaube fest daran, dass Abenteuer viel zugänglicher sind als das.

Wie wäre es also, nach der Arbeit wandern zu gehen oder für eine Nacht in der freien Natur zu schlafen, Sterne zu zählen und der Natur bei Sonnenaufgang zu lauschen? Oder sich über die heimische Pflanzen- und Tierwelt schlauzumachen; jene Teile der eigenen Stadt zu erkunden, mit denen man bisher noch nicht so verraut ist; am Wochenende campen zu gehen; neue Sportarten oder Hobbies auszuprobieren; sich einer geführten Wandergruppe für einen Tagesausflug anzuschließen, einen Roadtrip zu planen, oder…

Das Ziel ist nicht, mit tollen Fotos auf Instagram zu beeindrucken, obwohl Fotografie sehr wohl ein neues oder wiederentdecktes Hobby sein kann. Doch bei unseren kleinen Abenteuern sollte das Gegenteil der Fall sein: das bewusste Abschalten und Lernen, den Moment zu genießen und Zeit mit uns selbst zu verbringenNeues entdecken, draußen sein, sich selbst herausfordern und einfach wieder mehr Spaß haben. Wir vergessen oft, dass Spaß und Spiel nicht nur für Kinder sind. Beides hilft, Stress abzubauen und einen mentalen Ausgleich zu finden.

Keine Zeit? Umso mehr ein Grund, neue Abenteuer in unser Leben zu integrieren. Und wenn uns die Angst zurückhält, dann sind Mikroabenteuer genau das Richtige, um sich dem ganzen Thema anzunähern. Ich stimme Alastair Humphreys in jedem Fall zu, der zum Thema Angst sagt (nachdem er konkrete, realistische Tipps dazu gibt): “Nicht Abenteuer sind beängstigend – das Leben an sich ist es.“

Wie also bereichern Mikroabenteuer unser Leben konkret? Entweder stillen sie die Sehnsucht nach der Natur, bereichern unser Leben und tragen zum Wohlbefinden bei, indem sie für Abwechslung sorgen, uns an neue Hobbies heranführen und uns neue Kontakte ermöglichen – oder sie zeigen uns ganz grundsätzlich, dass wir etwas ändern müssen, um wirklich zufrieden zu sein. Wir lernen uns selbst vielleicht besser kennen – das betrifft auch unsere Familienmitglieder, falls sie sich uns anschließen –, und wir erkennen, was uns wirklich etwas bedeutet. Vielleicht entdecken wir sogar neue Orte, an denen wir leben möchten, oder Jobs, die wir ausprobieren wollen.

Oder wir entwickeln den Mut, uns doch auf die Reise zu machen und endlich das große, lang erträumte Abenteuer zu wagen. Und wer weiß, wo das hinführt.
Die Hauptsache ist, irgendwo anzufangen und diese Sehnsucht nicht unerfüllt zu lassen – es gibt immer einen Weg, mehr Freude ins eigene Leben zu bringen. Manchmal sind das eben die kleinen Dinge.

Mehr Info zum Thema: www.alastairhumphreys.com

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